1.3 Israel und Juda

Jesus war kein Schweizer. Das ist überraschenderweise für viele eine überraschende Information. Vielen ist nicht bewusst, dass der Glaube an den einen und einzigen Gott kein Gewächs aus heimatlichem Boden ist, sondern ein «Importprodukt», oder besser gesagt: Eine Frucht dessen, was das Volk Israel stellvertretend für alle andere empfangen, erlebt und erlitten hat.

Der Katechismus stellt Jesus und seine Herkunft aus dem Volk Israel allem voran. Noch vor dem „Erkenntnisprinzip“ für die Wahrheiten des Glaubens, den Heiligen Schriften, und erst recht vor dem Leben und Auftrag der Kirche, thematisiert der Katechismus das unbestreitbare Faktum der Existenz Israels. Gerade weil diese Existenz vielfach gebrochen und permanent gefährdet ist, indem sie bis heute dankbare, aber noch mehr hasserfüllte Reaktionen provoziert, steht dieses Volk für die Tatsache, dass sich der Glaube an Gott keinem Wunschdenken und keinen eigenmächtig konstruierten Idealen verdankt, sondern einer Realität, die allem menschlichen Denken und Wollen vorgegeben ist.

Es ist hilfreich, zum Einstieg möglichst anschaulich zu machen, dass auch heute Juden unter uns leben, die sehr bewusst ihre Herkunft pflegen und sie – auf unterschiedliche Weise – in Einklang bringen mit den Lebensformen unserer Tage. Dazu steht viel Filmmaterial bereit, unter anderem eine Dokumentation vom Schweizerfernsehen:
http://www.srf.ch/play/tv/srf-school/video/judentum-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:fa2c684c-fb54-43bf-8dd7-31c6e0a4db78

Verwunderung und Aufmerksamkeit schafft der Hinweis auf die statistisch ausgewiesene besondere Leistungsfähigkeit und Begabung vieler Juden: Von 1901 bis 2023 waren von den 965 Personen, die den Nobelpreis erhielten, 214 Juden oder hatten mindestens einen jüdischen Elternteil, was 22 % aller Preisträger entspricht. Juden machen nur 0,2 % der Weltbevölkerung aus, was bedeutet, dass ihr Anteil an Gewinnern 100-mal höher ist als der Anteil der Weltbevölkerung. Die aussergewöhnlichen Gaben, die diesem Volk verliehen sind (und die je wieder Neid wecken) thematisiert auch die Webseite https://www.wir-juden.com/nobelpreise.

Das Stück 1.3 dient zunächst dem anspruchsvollen Lernziel, die wichtigsten Gestalten der Geschichte Israels in Erinnerung zu rufen und ein Bewusstsein für den langen Zeitraum der 2000 Jahre zu wecken, in denen die Geschichte dieses Volkes Wirklichkeit wurde. Dazu ist es nötig, zwei Hilfsmittel der meisten Bibelausgaben kennen und nutzen zu lernen: Die Karten und die Zeittafel. Das erfordert regelmässige Übung. Besondere anspruchsvoll ist es, die alttestamentliche Art der «relationalen» Zeitrechnung, die Ereignisse mit Hilfe von anderen Ereignissen datiert, in die Rechnung der Jahre nach Christi Geburt zu übersetzen. Dabei wird deutlich, wie vieles durch das Kommen Jesu auf eine wohltuende Weise vereinfacht wird – und wie lange es gegangen ist, bis die Menschen das merkten (und wie lange es heute oft wieder geht, bis wir das realisieren und wertschätzen).

Diese Geschichte Israels gilt es mit Hilfe der vielen Geschichten zu erzählen und immer wieder neu zu erzählen! Keine Unterrichtsstunde und kein Gottesdienst darf die Gelegenheit vertun, auf eine dieser Geschichten zumindest anzuspielen und die diesbezüglich vorhandenen Kenntnisse aufzufrischen und zu konsolidieren.

Insbesondere zwei geschichtlich unbestreitbare Ereignisse müssen bekannt sein, damit ein zutreffendes Verständnis des Evangeliums werden und wachsen kann: Die zweifache Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 587 vor und im Jahr 70 nach Christus.

Zum elementaren Verständnis der Geschichte Israels gehört, dass an ihrem Anfang eine Sippe steht, dann eine Priesterschaft, dann ein Königtum, dann Propheten, und schliesslich eine Statthalterschaft und eine Schriftgelehrsamkeit.

Gerade in einem protestantischen Umfeld ist es wichtig, in Erinnerung zu rufen, dass vor dem Rechtlichen und Politischen in Israel das Kultische und Kulturelle dem Volk seinen Lebensraum verleiht. Im Auftrag Gottes sondert Israel eine – genealogisch vorherbestimmte – Priesterschaft aus und baut nach den detaillierten Vorschriften Gottes ein heiliges Zelt, das zum Vorbild für den Tempel in Jerusalem wurde. Die Zerstörung dieses Tempels steht für die brutale Wahrheit, dass Gott in dem von ihm erwählten Volk nicht verwirklichen konnte, was er Wirklichkeit werden lassen wollte. Das heisst nicht (wie es oft arrogant gedeutet wurde), dass er es mit anderen, vermeintlich besseren Menschen verwirklichen will. Sondern es heisst, dass es erst zu seiner Erfüllung kommen wird, wenn alle Völker von Gott gelernt haben, was er sie lehren will durch das, was Israel stellvertretend für sie erfahren hat. Und dazu gehört zentral die Lektion, dass alle Menschen schuldig werden im Hinblick auf das, was Gott von ihnen erwartet, und dass deshalb an keinem Ort und zu keiner Zeit eine ganz gerechte Lebensordnung aufgerichtet werden kann.

Um einen unbefangenen Zugang zum biblischen Erzählstoff offen zu halten (oder neu zu öffnen) ist es hilfreich, je und je wieder an die Tatsache zu erinnern, dass in der langen Geschichte Israels nicht ständig von Wundern die Rede ist. Der erste Eindruck, der beim hastigen Hören oder Lesen entsteht, trügt. Die biblischen Schriften berichten nicht, dass ständig Wunder geschehen! Die Davidsgeschichte und die Geschichte des Propheten Jeremia nehmen ihren Gang ohne dass dabei explizite Wunder wegweisend sind. Die Wundergeschichten, die unverzichtbar zur biblischen Botschaft gehören, finden sich gehäuft in den Zeiten, in denen es zu einem wegweisenden Umbruch kommt: In den Jahren, in denen das Volk Israel aus Ägypten in das ihm verheissene Land geführt wird. Siebenhundert Jahre später in der Zeit, in der die ersten Propheten Elia und Elisa auftreten. Und noch einmal siebenhundert Jahre später in den wenigen Jahren, in denen Jesus auftritt und dann seine Jünger an ihr Werk schickt. Diese zeitliche Massierung von Wundern markiert die grafische Darstellung zum Stück 2.1.

Die Kunst des Lehrens und Lernens in diesem Stück besteht darin, aus dem überreichen Stoff einiges so zur Sprache zu bringen, dass in den grossen Linien und an den anschaulichen Details klar wird: Die Geschichten aus der Geschichte Israels geben uns Anteil an der Wirklichkeit, wie sie ist, wenn Gott in ihr nicht nur stillschweigend am Werk ist, sondern erklärt, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen er das bewirkt, was er wirkt.

Zur Repetition der Geschichte Israels im 2. Mosebuch können Arbeitsblätter zu Mose hilfreich sein, die in der 4. bis 6. Klasse zur Anwendung gekommen sind:

Zum Abschluss oder zur Repetition kann (mit dem nötigen Humor durchgezogen) ein Schlusstest noch einmal manches klären.

Eine betont moderne Rekonstruktion der Stiftshütte durch das Architekturbüro jessenvollenweider findet sich hier untenstehend; der dazugehörige architekturgeschichtliche Vortrag von Professor Ingemar Vollenweider ist hier verlinkt http://baslermuensterpfarrer.ch/studienhaus/.

Die blutige Eroberung des Südreichs Israel wird in den zeitgenössischen assyrischen Reliefs dokumentiert: https://etc.worldhistory.org/photos/siege-lachish-reliefs-british-museum/.

Der aronitische Segen auf einer kleinen Silberrolle wurde wahrscheinlich als Amulett getragen; er steht ergreifend für das Vertrauen, mit dem die Bewohner Jerusalems vor mehr als 2600 Jahren schon Schutz und Frieden vom Gott Israels suchten.

Die dramatische Bewahrung Jerusalems unter König Hiskia kann anschaulich machen, wie sich der Glaube an Gottes Wort (das damals durch den Propheten Jesaja zugesagt wurde) bewähren muss gegenüber einer Wirklichkeit, die ihn als lächerlich und dumm erscheinen lässt.

Bekannte Gospel stehen dafür, dass immer wieder Menschen Trost und Hoffnung gesucht und gefunden haben in dem, was das Volk Israel erlebt und erlitten hat, zum Beispiel:
„When Israel was in Egypts Land“,
„Josua fit the Battle of Jerico“,
„At the waters of Babylon“. Mit dem Einbezug Publikum, 1975 in Irland: https://www.youtube.com/watch?v=YuYlwI8Vc8Q
oder poppig (und damit ein Stück weit irreführend): https://www.youtube.com/watch?v=nKThyNeKqUU

Der jüdische Maler Marc Chagall hat aus der Geschichte seines Volkes einen farbigen Kosmos von Lebensfreude, unheimlichen Kämpfen, inniger Liebe und strahlender Hoffnung geschöpft.

Die Geschichte Israels und der Stadt Jerusalem lässt sich ganz knapp, hart und schmerzlich – und doch auch über alles Verstehen hoffnungsvoll zusammenfassen mit dem Gleichnis von den ungetreuen Verwaltern, das Jesus Markus 12,1-12 erzählt.

Am Tempelberg in Jerusalem entzünden sich bis heute Konflikte, die für die ganze Welt brandgefährlich sind: Jüdische Eiferer möchten auf ihm den neuen, dritten Tempel bauen. Doch sie müssten dazu den Felsendom und die Al Aksha-Mosche entweihen – zwei Bauwerke, die für mehr als eine Milliarde von Muslimen über alle Massen heilig sind, so heilig, dass tausende und abermals tausende bereit wären, für den Erhalt dieser Heiligtümer zu kämpfen, auch wenn das alle Menschen in den Tod reissen würde.
Zwei Szenen aus dem eindrücklichen Filmprojekt 24 Stunden Jerusalem machen deutlich, wie unlösbar der Konflikt um das Land Israel ist. Eine sympathische muslimische Familie klagt darüber, dass ihre Wohnung im Auftrag von jüdischen Behörden zerstört worden ist. Eine ebenso sympathische jüdische Mutter einer grossen Kinderschar schwärmt davon, wie bald schon die Al Aksha-Moschee einem Neubau des Tempels weichen wird.

Mit viel Sachkenntnis Empathie für alle Seiten macht auch der jüdische Journalist Ari Shavit unwidersprechlich klar, dass sich im Land Israel immer wieder neues Unrecht geschieht, das kein noch so kluger Mensch in einen endlich guten Zustand wenden kann.